Die Marktmeinung aus Stuttgart

USA – Failed Corona-State

Stuttgart, 15. Juli 2020 - von Michael Beck

Ein „Failed State“ ist kein schmeichelhafter Begriff – er bezeichnet in der Regel Staaten, deren Strukturen in gesellschaftlicher, juristischer oder wirtschaftlicher Art so zerrüttet sind, dass ein Staat seinen Aufgaben und Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Eine Weltmacht wie die USA in die Nähe eines solchen Status zu rücken, scheint vermessen. Aber wenn man die aktuelle Situation in den gespaltenen USA betrachtet, kommt dem neutralen Beobachter dieser Vergleich in den Sinn. Ein Präsident, der nur so heißt, aber weder moralisch noch intellektuell in der Lage ist, diese Position für alle US-Bürger auszufüllen, und durch seine Ignoranz und das Herunterspielen der Gefahr des neuartigen Virus der Covid-19-Pandemie den Boden so geebnet hat, dass Teile der USA auf norditalienische Verhältnisse zusteuern, trägt dafür die Verantwortung. Darüber hinaus kündigt das Land sämtliche Verträge und Kooperationen, die in langen Jahrzehnten der internationalen Zusammenarbeit zustande gekommen sind. Der daraus resultierende Protektionismus isoliert die USA zunehmend und verschärft nicht nur die Spannungen zu bestehenden Feinden, sondern entfremdet das Land zudem von seinen Freunden. Die neueste spannende Idee des US-Präsidenten zielt darauf ab, internationale Studenten und angehende Wissenschaftler entweder aus dem Land zu weisen oder sie gar nicht mehr ins Land zu lassen. Dabei handelt es sich genau um das Arbeitskräftepotential, dem die US-Tech-Giganten in den letzten Jahren ihre Innovationskraft und ihren Erfolg zu verdanken haben.

Es verwundert nicht, dass diese Unternehmen und die Universitäten, die Milliardenausfälle befürchten, gegen dieses Vorhaben Sturm laufen. Immerhin scheint die US-Administration dieses Vorhaben vorläufig gestoppt zu haben. Anfang dieser Woche war zum ersten Mal seit langer Zeit speziell für die Tech-Branche an den US-Börsen ein markanter Stimmungsumschwung zu verzeichnen. Es darf nicht vergessen werden, dass ein Großteil der jüngsten Kursgewinne an den amerikanischen Börsen auf das Konto der großen Tech-Giganten geht. Auch der Elektromobil-Hersteller Tesla hat inzwischen eine Bewertung erreicht, die größer als die der großen deutschen Automobilbauer Daimler, VW und BMW zusammen ist. Natürlich erinnert das an die Bewertungsexzesse um das Jahr 2000 herum, dem dann das Platzen der Börsenblase weltweit folgte. So muss es nun in diesen Tagen nicht kommen, aber die Kursgewinne des zweiten Quartals wurden immer mit dem Hinweis kommentiert, dass das aktuelle fundamentale Umfeld zwar diese Bewertungsniveaus nicht rechtfertigt, aber nach Bewältigung der Covid-19-Pandemie sich die konjunkturelle Lage schnell normalisiert. Allerdings immer unter der Voraussetzung, dass keine zweite Ansteckungswelle der Pandemie droht. Noch scheinen Asien und Europa diese zweite Welle zu verhindern wissen, was aber vor allem an den günstigen klimatischen Bedingungen liegen dürfte, da sich die Bevölkerung weitgehend im Freien aufhält. Aufgrund der massiven Lockerungen und der wachsenden Reisetätigkeit in Verbindung mit der zunehmenden Sorglosigkeit vieler Menschen könnte sich dieser Zustand leider zum Negativen hin verändern. Es erschließt sich kaum, warum viele Menschen davon ausgehen, dass die Covid-19-Pandemie hinter uns liegt, nur weil Lockdown-Maßnahmen gelockert werden (müssen). In den USA und einigen Schwellenländern wie Brasilien jedenfalls müssen sich die Gesundheitsinstanzen nicht mit einer zweiten Welle beschäftigen, da die erste Welle noch nicht zum Ruhen gekommen ist. Im Gegenteil, aufgrund der verantwortungslosen Führung dieser beiden Länder baut sich diese erste Welle immer weiter auf und droht in manchen Regionen bzw. Staaten das Gesundheitssystem zu überrollen.

Aktieninvestoren sollten darauf ein scharfes Auge haben, denn eine verbreitete Wiederaufnahme von Lockdown-Maßnahmen, wie sie aktuell Kalifornien (und z. B. auch Barcelona oder Kolumbien) umsetzt, würde die zarte Erholung des US-Arbeitsmarktes brutal abwürgen und zu Korrekturen an den Aktienmärkten führen.

Diese Gefahr besteht auch in Europa, denn nicht nur ansteigende Infektionszahlen können das Sentiment belasten. Auch die umfangreichen Stellenstreichungsprogramme großer Industrieunternehmen und die zu erwartende Insolvenzwelle vieler mittlerer und kleiner Betriebe werden das Konsum- und Investitionsklima über steigende Arbeitslosenzahlen stark belasten. Und je deutlicher es sich abzeichnet, dass die wirtschaftliche Erholung länger dauern wird und schwächer ausfällt als erhofft, umso schwerer lassen sich die Vorschusslorbeeren der Aktienmärkte aufrechterhalten. Die Industrieproduktion im Euroraum stieg zuletzt im Mai um stattliche 12,4 %, lag jedoch immer noch 20,9 % unter dem Vergleichsmonat im Vorjahr. Es sind noch viele Anstrengungen nötig, bis alte Niveaus wieder erreicht werden können.

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