Die Marktmeinung aus Stuttgart

Streitfall Patentschutz

Stuttgart, 11. Mai 2021 - von Michael Beck

Deutschland war lange Jahre Weltmeister in der Zulassung von neuen Patenten. Dies war der Vormachtstellung vor allem der Automobil- und Maschinenbauindustrie geschuldet. Nun traten deutsche Biotech-Unternehmen, wie Biontech und Curevac Deutschland in 2020 mit der großen Leistung hervor, in kürzester Zeit einen Impfstoff gegen den Covid-19-Virus entwickelt zu haben. Der Entwicklung dieser Impfstoffe gingen 20 Jahre Forschungsarbeit und Unmengen an privaten und öffentlichen Investitionen voraus. Lohn der Anstrengungen und des Aufwandes waren Patente, die nun erlauben, von der Produktion der Impfstoffe wirtschaftlich zu profitieren. Wichtig ist nun natürlich die schnellstmögliche und kostengünstige Versorgung der Welt mit den Impfstoffen. Die USA regt nun an, den Patentschutz zeitweise auszusetzen, um auch ärmeren Ländern die rasche Versorgung mit Impfstoffen zu ermöglichen. Da es aber technisch sehr aufwändig ist, solche Impfstoffe herzustellen, würde eine Patentfreigabe kaum zu einer Erhöhung der Impfstoff-Produktion beitragen. Zudem dürfte es die Motivation der Biotech- und Pharma-Unternehmen untergraben, zukünftig weitere hohe Summen in die Entwicklung von Medikamenten zu stecken. Zudem würde dieser Dammbruch ziemlich schnell als Präzedenzfall für die Aufhebung von Patenten in anderen Bereichen dienen können, was die zukünftige Innovationskraft vieler Wirtschaftsbereiche stark beschneiden könnte. Sinnvoller wäre es, die bestehenden Produktionskapazitäten zu erhöhen und ärmeren Ländern kostengünstige oder gar kostenlose Impfstoffe zur Verfügung zu stellen. Es wäre schon hilfreich, wenn große Impfstoffproduktions-Länder, wie die USA ihren Impfnationalismus aufgeben würden und den Export von Impfstoffen bzw. von dafür benötigten Komponenten freigeben würden. Die Tübinger Biotech-Firma Curevac weist z.B. daraufhin, dass sie zwar in Kürze die Zulassung für ihren Impfstoff erwartet, aber in der Produktion Schwierigkeit sieht, da einige wichtige Komponenten die USA nicht verlassen dürfen, darunter auch von deutschen Unternehmen in den USA produzierten Glasampullen. Die Aktienkurse der betroffenen Unternehmen gerieten in volatile Fahrwasser und verloren teils 30% an einem Tag. Solche Engpässe, u.a. derzeit auch in der Halbleiter-Industrie zu beobachten, beeinträchtigen jedoch nicht nur die Börsenkurse einzelner Unternehmen, sondern auch die Industrieproduktion und das wirtschaftliche Wachstum. Es steht zu hoffen, dass die USA nicht nur in ihrem Streit mit China auf den Schutz des geistigen Eigentums pochen, sondern dies auch weiterhin generell respektieren.

In den USA wurden enttäuschende Arbeitsmarktdaten veröffentlicht, statt der erwarteten Verbesserung auf 5,8% stieg die Arbeitslosenquote wieder auf 6,1%. Insbesondere Jobs in schlecht bezahlten Segmenten bildeten sich zurück, was durchaus an den großzügigen staatlichen Hilfen liegen könnte, die den Anreiz, eine Arbeitsstelle anzutreten oder zu behalten reduziert. Da Arbeitnehmer im unteren Lohnsegment häufig gezwungen sind, zwei oder gar drei Jobs zu bestreiten, könnten die Staatshilfen inzwischen dazu führen, dass das monatliche Gehalt schon mit einem Job erreicht werden kann. Wie so oft wurde bei der der Interpretation dieser Wirtschaftsdaten eine Art Deutungsumkehr vorgenommen. Die enttäuschenden Wirtschaftsdaten führten nicht zu einer Aktienmarktkorrektur, im Gegenteil – sie inspirierten viele Aktieninvestoren zu neuen Käufen. Begründung: die eher schwachen Daten lösen die aufkommenden Bedenken eines verfrühten „Tapering“ (Einschwenken in eine restriktivere Geldpolitik der Zentralbanken) in Luft auf. Eine Fortführung der expansiveren Geldpolitik mit ihrer stützenden Wirkung wird nun als vorerst gesichert angesehen.

Der Konjunkturindex Sentix stieg im Mai deutlich stärker als erwartet auf den höchsten Wert seit März 2018. In Verbindung mit den großen Impffortschritten in Deutschland und Europa scheint die konjunkturelle Wende nun endlich vor der Tür zu stehen. Der immense Konsumstau , der sich während der Lockdown-Phasen aufgebaut hat, dürfte sich demnächst auflösen. Auch übergeordnet zeichnen sich große Investitionen ab, denn das Bundesverfassungsgericht hat verkündet, dass das Klimaschutzgesetz in seiner jetzigen Form unzureichend ist und nachgebessert werden muss. Es bedarf hier großer Anstrengungen, damit die ambitionierten Klimaziele erreicht werden können. Auch hier liegt die Motivation der Wirtschaft, Geld zu investieren, im späteren Patentschutz für neue Erfindungen. Im anstehenden Bundestagswahlkampf wird dieses Thema eine hervorgehobene Rolle spielen. Der Wettkampf der Union und der Grünen um die Vorherrschaft beim Klimathema hat begonnen, wobei hier die Grünen einen gewissen Heimvorteil haben. Aber die Chance der Union liegt in der Betonung der Vereinbarkeit der Klimaschutzmaßnahmen mit der wirtschaftlichen Situation. Denn einerseits sollen Abeitsplätze so gut wie möglich erhalten werden und andererseits sind immense Kosten für die Transformation der Wirtschaft hin zur Klimatauglichkeit zu finanzieren. Atomenergie als CO2-sparende Energieform fällt hierzulande aus. Im Gegensatz zu Deutschland setzt der Rest der Welt auf die Möglichkeiten der Kernkraft. Selbst der Weltklimarat empfiehlt die Nutzung der Atomtechnik als Säule der CO2-Reduktion. US-Präsident Biden überlegt derzeit, innerhalb seines Infrastrukturansatzes mit Billionen US-Dollars an Investments Atomkraftwerke genau aus diesem Grund steuerlich zu fördern. Und damit sind natürlich nicht die gefährlichen Atomreaktoren alter Bauart gemeint, die nicht nur in Deutschland so schnell wie möglich abgeschaltet gehören. Es braucht nur noch die Erkenntnis, dass eine neue Generation von Atomkraftwerken (sicherer, weniger Atommüll) eingesetzt werden muss. Große Investitionen werden nötig sein, die aber wieder zu Wirtschaftswachstun beitragen werden. Bundeswirtschaftsminister Altmaier verkündete, dass bis 2030 ein erstes rein wasserstoffbetriebenes Schiff in Deutschland vom Stapel gehen soll. Es wird spannend sein, ob dies mit „grünem“, aus regenerativem Strom produzierten oder aus dem Ausland eingeführten „Atom“-Wasserstoff realisierbar sein wird. Auf jeden Fall wird eine Unzahl an Patenten nötig sein, um diese technologischen Fortschritte zu erreichen.

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