Endlich – die Fallzahlen der Neuansteckungen, die der auf den Intensivstationen behandelten Personen und auch die der Todesfälle in Verbindung mit dem Covid-19-Virus beginnen nachhaltig zu sinken. Dennoch stehen die Zeichen nicht auf Entspannung. Die USA ist durch die Ignoranz des früheren Präsidenten mit am stärksten von der Covid-19-Pandemie betroffen. Leider weist Deutschland aktuell trotz seit Monaten andauernden Lockdown-Maßnahmen, gemessen an der Bevölkerungszahl, gleich schlechte Sterberaten wie die USA auf. Daher ist es schwer verständlich, dass immer noch Ministerpräsidenten/-innen öffentlich behaupten, wir wären bisher gut durch diese Pandemie gekommen.
Eine Meinung, der sich viele Finanzmarktakteure insbesondere im letzten Sommer gerne angeschlossen haben bzw. derzeit anschließen. Es wird als gegeben angesehen, dass die Wirtschaft nach einer erfolgreichen Impfkampagne zu einer starken Erholung ansetzt. Der Start dieser Erholung wurde allerdings schon vom ersten ins zweite Quartal verschoben, was an der aktuellen Entwicklung und den potentiellen Gefahren der höheren Ansteckungsrate bei diversen Mutanten des Virus liegt. Wobei viele Politiker gerne die Gelegenheit nutzen, die hohen Fallzahlen auf die mutierten Virus-Variationen zu schieben.
Portugal weist z. B. einen der höchsten Inzidenzwerte weltweit auf und steht wie England kurz vor dem Kollaps des Gesundheitssystems, was auch mit der sich verbreitenden britischen Covid-19-Mutante begründet wird. In Nebensätzen wird jedoch erklärt, dass gerade mal 13 % der Neuansteckungen in Portugal von dieser mutierten Variante herrühren. Daher liegt der Verdacht nahe, dass die Situation, nicht nur in Portugal, England oder Deutschland, von zwei Seiten negativ beeinflusst wird. Einerseits von der höheren Ansteckungsrate und ‑geschwindigkeit neuer Virus-Mutationen, anderseits vor allem von der mangelnden Bereitschaft vieler Menschen, wie im Frühjahr letzten Jahres die strengen Regeln einzuhalten. Unzureichende technische Mittel, wie die Daten-totgeschützte Corona-App, die immer noch mangelnde technische und personelle Ausstattung der Gesundheitsämter und die nur langsam anlaufende Impfkampagne lassen erwarten, dass die Einschränkungen auch weit in das zweite Quartal reichen müssen. Die Revisionen der Wirtschaftswachstumsraten in Deutschland und Europa dürften nur der Anfang sein. Die Aktienmärkte schauen seit geraumer Zeit gewissermaßen durch die Krise hindurch und setzen voll auf eine positive Post-Covid-19-Zeit. Dies setzt allerdings relativ zeitnahe (Teil-)Öffnungen der geschlossenen Bereiche des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens voraus. Die Diskussion darüber und auch über die vorzeitigen Lockerungen für z. B. geimpfte Personen beginnt zurzeit. Es fällt jedoch schwer zu glauben, dass die anstehende Insolvenzwelle nach Ablauf der Aussetzung der Insolvenzanmeldefrist und die leider sich abzeichnenden schlechten Meldungen hinsichtlich entstehender Probleme durch die Virus-Mutationen ohne Auswirkungen auf die Aktienmärkte bleiben können. Erste Indizien für kommende Schwierigkeiten liefern die abstürzenden britischen Wirtschaftsdaten als auch die nachgebenden europäischen Einkaufsmanagerindizes. Der ifo-Geschäftsklimaindex, der die Befragung von über 9.000 Unternehmen widerspiegelt, gab sowohl in der Lagebeurteilung als auch in den Erwartungskomponenten deutlich nach.
Der dagegen angestiegene ifo-Exportklimaindex verdeutlicht, dass die deutsche Wirtschaft seit geraumer Zeit vor allem durch den asiatischen Wirtschaftsraum gestützt wird und auch positive Zeichen zu entdecken sind. In 2020 gingen beispielsweise bereits 38 % der deutschen Auto-Exporte nach Asien. Die derzeitigen Probleme bei der Lieferung von Halbleiter-Chips, die sogar zu Produktionsstillständen bei Automobil-Herstellern führen, sollen auf Bitten der Bundesregierung ebenfalls durch Hilfe aus Asien, insbesondere Taiwan, behoben werden. Kein Wunder, dass China zum ersten Mal die USA bei direkten Auslandsinvestments überholt hat. Die wirtschaftlich stark gestiegene Bedeutung Chinas wird sich in den nächsten Jahren in deutlich höheren Anteilen an den Weltaktienindizes manifestieren. Spannend wird sein zu beobachten, inwieweit die verschiedenen Wirtschafts-, Regierungs- und Moralsysteme zukünftig in Einklang zu bringen sein werden. Beim virtuellen Weltwirtschaftsgipfel „Davos“ zumindest gibt Chinas Premier sich Mühe, die Gemeinsamkeiten zu pointieren.
Das kurzfristige Hauptaugenmerk wird von den Finanzmarktakteuren auf die aktuell laufende Berichtssaison und die Entwicklung der Unternehmensgewinne gelegt. Diese Woche berichten insbesondere die Tech-Giganten, die die Haupttreiber der positiven Aktienmarktentwicklung der letzten Quartale waren. Die Ergebnisse werden ohne Zweifel recht gut ausfallen, die Frage wird aber sein, ob sie so gut ausfallen, dass sie das sehr hohe Bewertungsniveau rechtfertigen. In Verbindung mit den Kursgewinnen der Anfang November einsetzenden Sektor-Rotation würde allerdings auch eine Seitwärtsbewegung der teuren Growth-Werte ausreichen, um das allgemeine Aktienmarktniveau auf neue Rekordhochs zu hieven. Dazu braucht es auf jeden Fall eine Dynamisierung der Impfkampagne und breite Möglichkeiten der Öffnung des öffentlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens.