Man hat selten so früh im Jahr den Begriff „Ostern“ gehört wie in diesen Tagen. Leider meist nicht im für gläubige Menschen positiven Zusammenhang der Auferstehung Christi – immer öfter fällt der Begriff „Ostern“, wenn es um die wahrscheinliche Dauer der Lockdown-Beschränkungen in Deutschland geht. Die Finanzmärkte nehmen dieses Thema ob der laufenden Impfkampagne und der Erwartung einer Auferstehung der alten Normalität und vieler seit Monaten geschlossener Branchen und Kulturveranstaltungen relativ gelassen. Und dies trotz der immensen Schäden und extremen Belastungen der Gesundheitssysteme, die diese Covid-19-Pandemie immer noch verursacht. Seit dem 2. November letzten Jahres hangeln wir uns von einem Lockdown in einen etwas veränderten neuen Shutdown. Und jedes Mal fragt man sich unwillkürlich, was denn beim Ablauf des jeweils neuen Ablaufdatums, nun 14. Februar, anders sein soll, um wieder zu umfangreichen Lockerungen und dem Wiederaufleben des öffentlichen Lebens zu kommen. Da die Impfkampagne erst langsam Fahrt aufnimmt und die meteorologischen Bedingungen erst wieder in einigen Monaten pandemiefreundlicher werden, rückt Ostern als frühestmöglicher Erleichterungstermin in den Blickpunkt. Mit dem Ostersonntag beginnt wie seit über 2000 Jahren die 50-tägige Osterzeit (Freudenzeit), die bis Pfingsten andauert. Ob dies die Übergangszeit in eine „normale“ Post-Covid-19-Welt sein wird?
Die Auferstehung der Vereinigten Staaten von Amerika geht sehr viel früher vonstatten. Zumindest offiziell, nämlich heute am Vereidigungstag des 46. demokratisch gewählten US-Präsidenten Joe Biden, begleitet von einem Staraufgebot, dem zum Unwillen des Vorgängers das Who’s who der US-amerikanischen Unterhaltungsszene angehört. Ungeachtet der immensen Aufgaben, die sich Biden in den nächsten vier Jahren stellen, zuvorderst eine Annäherung der tief gespaltenen Bevölkerungsteile, übernimmt ein erfahrener, verlässlicher und seriöser Politiker eines der wichtigsten Ämter der Welt. US-Präsident Biden lässt sich auch nicht die üblichen 100 Tage Zeit, um im Amt anzukommen, er möchte die wichtigsten Weichenstellungen (z. B. Pandemiebekämpfung, Konjunkturförderung, Pariser Klimaschutzabkommen, Kampf gegen Rassendiskriminierung) für die US-Politik in den ersten 10 Tagen durchführen, um die größten Schäden der Politik der letzten vier Jahre zu beheben. Die Finanzmärkte, die Joe Biden noch letzten Herbst skeptisch gegenüberstanden, haben sich längst mit seiner Agenda arrangiert. Dezente Steuererhöhungen, dass ein oder andere Drehen an der Regulierungsschraube – alles verblasst hinter der Erwartung gigantischer Konjunkturpakete, mit denen Biden die gebeutelte US-Wirtschaft und den Arbeitsmarkt wiederauferstehen lassen möchte. Die Aktienmärkte danken es ihm mit immer neuen Rekordständen. Es sollte jedoch beachtet werden, dass die langfristigen Zinsen (von ca. 0,50 % im August auf 1,10 % im 10-jährigen Bereich) und die Inflationserwartungen in den USA langsam zu steigen beginnen. Bis diese so stark steigen, dass es die Aktienmärkte beeinträchtigen könnte, dürfte allerdings noch einige Zeit vergehen.
Das von den Demokraten initiierte erneute Impeachment-Verfahren gegen den heute aus dem Amt scheidenden und offenbar in einer Parallelwelt lebenden 45. US-Präsidenten hat ein wichtiges Ziel: die politische Auferstehung dieses ersichtlich nicht für dieses Amt geeigneten, sondern sogar gefährlichen Mann für alle zukünftigen Zeiten zu verhindern.
Der Aufmarsch von bis an die Zähne bewaffneten „Patrioten“ in Washington und den Parlamenten vieler Bundesstaaten und das Ausmaß der Sicherheitsvorkehrungen in Washington für die heutige Vereidigungszeremonie sprechen Bände. Das eindeutige Abrücken des mächtigen Republikaner-Chefs McConnell vom abgewählten Amtsinhaber erhöht die Chancen auf einen Erfolg dieses Impeachment-Verfahrens. Für die US-Wirtschaft dürfte dies von Vorteil sein, da das Land nun wieder in eine Phase der Versöhnung und Ruhe übergehen kann. Dies ist auch dringend notwendig, denn die geopolitische Situation mit den Themen Russland, China und anderen Brennpunkten in der Welt (z. B. Klimawandel, u. a. der Regenwald Brasiliens) erfordern in den nächsten Jahren viel Aufmerksamkeit.
An den Finanzmärkten ist die wirtschaftliche Auferstehung schon eingepreist. Zwar sorgen neue, wohl ansteckendere Covid-19-Mutanten für Besorgnis, das Überwinden der Pandemie durch die anlaufende Impfkampagne wird jedoch als gegeben hingenommen, wie die überraschend positiv ausgefallene ZEW-Umfrage unter Finanzmarktakteuren zeigt. Allerdings wird es für viele Unternehmen im Handel, in der Gastronomie-, Kultur-, Messe- und sonstigen Branchen, die vom Zusammenkommen der Menschen leben, endgültig eng. Die funktionierende Industrie fängt zurzeit viel auf, wiegt viele Investoren jedoch in falscher Sicherheit. Reihum werden die Wirtschaftsprognosen für 2021 aufgrund der sich hinziehenden und immer schärfer werdenden Lockdown-Maßnahmen reduziert. Man darf gespannt sein, ob, wann und in welcher Form sich dies an den Finanzmärkten widerspiegeln wird.
Denn wie das mit Totgesagten so ist, die Auferstehung der Inflation, die eigentlich für die nächsten Jahre als nicht existent betrachtet wurde, steht vor der Tür. Zumindest steigen die Inflationserwartungen vieler Marktteilnehmer, was sich in steigenden Zinsen (siehe USA) niederschlagen kann.
Dies hat weniger mit der klassischen Lehre zu tun, die bei stark steigenden Geldmengen und Verschuldungen automatisch von steigenden Inflationsraten ausgeht, sondern von eben jener Hoffnung des wieder auferstehenden Konsumenten, der seinen Konsumstau nach Öffnung der Gesellschaft auflöst und seine in der Pandemie angehäuften Spar-Euro einsetzt, um endlich wieder zu genießen und zu leben. Die nächsten Wochen und Monate werden noch einige Herausforderungen bringen. Wie sich das Börsenjahr 2021 entwickeln wird, steht noch in den Sternen. Der Start war schon mal erfolgreich, die Hürden für einen Durchmarsch steigen allerdings. Es steht wirklich zu hoffen, dass die Impfkampagne an Fahrt aufnimmt und es durch die Unterstützung der wärmeren Jahreszeit möglich sein wird, auch die seit Monaten geschlossenen Branchen wieder öffnen zu können. Denn ohne diese Möglichkeit ist eine nachhaltige Auferstehung der Wirtschaft und gesellschaftliche Leichtigkeit nicht möglich und es bleibt zweifelhaft, ob Pfingsten ein Fest der Freude werden kann.