Die Marktmeinung aus Stuttgart

Zwischen Hoffen und Bangen

Stuttgart, 22. April 2020 - von Michael Beck

Die große Panik an den Finanzmärkten ist weitgehend überstanden, zumindest in den meisten Teilen. Für den US-amerikanischen Ölmarkt galt dies vorgestern nicht, als es wohl unmöglich war, auf dem Öl-Futuremarkt ein „normales“ Weiterrollen der Future-Positionen darzustellen. Mal wieder waren historische Preisstürze (–90 %) und sogar kurzzeitige Negativpreise zu sehen. Ein Beispiel mehr für die extreme Unsicherheit hinsichtlich der konjunkturellen Aussichten infolge der weltweiten „Lockdowns“ vieler Volkswirtschaften und des historischen Einbruchs der Welt-Ölnachfrage. Es drängt sich der Eindruck auf, dass viele Marktteilnehmer genug haben von „historischen“ Dimensionen und sich nach Ruhe und geregelten Bahnen sehnen. An den Aktienmärkten ist dies in den letzten Wochen sogar schon fast eingetreten, denn nach einer technischen Erholung von über 20 % von den Tiefständen scheinen die Aktienmärkte in eine (volatile) Seitwärtsrange eingeschwenkt zu sein. Unterstützt wurde dies durch das Wiederanfahren von weiten Teilen der chinesischen Wirtschaft und deutlichen Stimmungsaufhellungen in den dortigen Einkaufsmanagerindizes. In Europa verbesserten die ersten Lockerungen der Lockdown-Maßnahmen in Österreich und dann auch Deutschland die Stimmung der Investoren. Als jüngstes Positivum schnellte der ZEW-Index nach oben – eine Befragung vor allem von Finanzexperten. Dies betrifft jedoch nur die zukünftige Einschätzung der Wirtschaftsentwicklung, die aktuelle Lageeinschätzung stürzte nochmals deutlich auf „historisch“ niedrige –91,5 Punkte ab. Dies verdeutlicht sehr gut, dass die Finanzmärkte auf eine schnelle Erholung der Wirtschaft spätestens ab dem dritten Quartal spekulieren. Voraussetzung scheint hierbei aber zu sein, dass die Ansteckungszahlen auf dem aktuellen niedrigen Niveau gehalten werden können und im besten Fall wirksame Medikamente bzw. Kombinationen bestätigt werden, um die schweren Covid-19-Fälle effektiv behandeln zu können. Ein Impfstoff lässt wahrscheinlich bis mindestens Anfang 2021 auf sich warten, was bedeutet, dass die Wirtschaft auf längere Zeit Beschränkungen (Tourismus, Gastronomie, Großveranstaltungen etc.) unterworfen sein wird. Es bleibt zu hoffen, dass in 2021 ein großer Aufholprozess der Wirtschaftsleistungen erfolgen kann.

In Europa wird das Sentiment derzeit auch durch die Uneinigkeit der Euro-Länder hinsichtlich der Auflegung von „Corona-Bonds“ belastet, in deren Zuge die italienische Regierung die Nordländer mangelnder Solidarität bezichtigt. Dabei haften diese Länder schon mit über Target-Salden, ESM-Kredit-Linien oder den massiven Anleihenkäufen der Europäischen Zentralbank EZB, die derzeit quasi im Alleingang den italienischen Staatshaushalt finanziert. Es wäre dennoch gut, wenn sich die Regierungschefs und Finanzminister in ihrer morgigen Video-Konferenz zu eindeutigen Signalen der Solidarität durchringen könnten. Denn eine Euro-Krise 2.0 wäre das Letzte, was Europa zurzeit gebrauchen kann. Zudem scheinen britische Autoritäten nicht nur die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie eklatant unterschätzt zu haben, sie haben offensichtlich immer noch kein Gespür für die Probleme, die aus einem ungeregelten Brexit entstehen können. Nur so ist es zu erklären, dass trotz der immensen Belastungen aus der Corona-Krise am 31.12.2020 als endgültigem Bruchdatum festgehalten wird, obwohl klar ersichtlich ist, dass die Zeit für vernünftige Regelungen nicht reichen wird. So liegen spannende Zeiten vor uns. Eine defensivere Ausrichtung in der Kapitalmarkt-Strategie scheint dabei angeraten.

Hinweise:

Die vorliegenden Informationen sind keine Finanzanalyse im Sinne des Wertpapierhandelsgesetzes und genügen nicht allen gesetzlichen Anforderungen zur Gewährleistung der Unvoreingenommenheit von Finanzanalysen und unterliegen nicht einem Verbot des Handels vor der Veröffentlichung von Finanzanalysen.