WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Wirtschaft
  3. Bilanz
  4. Börse: Der Fall des Neuen Markts hat eine ganze Generation verprellt

Meinung Börse

Der Fall des Neuen Markts hat eine ganze Generation verprellt

Auf Konten und Co. – Deutsche horten ihr Geld

Das Geldvermögen privater Haushalte ist trotz Zinsflaute auf einen Rekordwert von 6,17 Billionen Euro gestiegen. Dietmar Deffner und Holger Zschäpitz ordnen die Sparsamkeit der Deutschen im Gespräch ein.

Quelle: WELT/Dietmar Deffner

Autoplay
Während viele vermögende Anleger wieder verstärkt in Aktien investieren, bleiben Kleinanleger den Unternehmenstiteln noch häufig fern. Der Zusammenbruch des Neuen Markts wirft weiter lange Schatten. Kommt das große Umdenken?

Vorurteile sind ein zweischneidiges Schwert: Sie helfen uns sowohl beim Denken, indem sie Komplexes radikal vereinfachen – so können wir binnen Sekunden Wissen abrufen und damit unsere Umwelt einordnen –, sie verhindern aber gleichzeitig auch, dass wir neue Erfahrungen machen, indem sie uns in unserem vermeintlichen Wissen bestärken.

Mit solchen Vorurteilen ist hierzulande leider auch die Aktienanlage belastet. Seit dem Niedergang des Neuen Markts, der mit dem Nemax 50 nun vor fast auf den Tag genau 20 Jahren eingeführt wurde, stoßen Aktien unverdrossen auf große Skepsis bei den Deutschen.

Der Fall des Neuen Markts hat eine ganze Generation geprägt und – man muss es leider so sagen – nachhaltig verprellt. Bei den über 45-Jährigen ist der Crash noch in allzu lebhafter Erinnerung. Das wirkt bis heute nach.

Lesen Sie auch

Haben auf dem Höhepunkt des Aktienbooms Taxifahrer und Otto Normalverbraucher beim Mittagessen über die neuesten Emissionen und Aktientipps diskutiert, zeigt das breite Publikum den Unternehmenstiteln heute nur die kalte Schulter.

Auch wenn man hier natürlich erwähnen sollte, dass die Zahl der Aktienanleger zuletzt nach oben zeigte. Im Vergleich zu anderen Ländern bleibt sie jedoch nach wie vor ausbaufähig.

Um bei der Psychologie zu bleiben, solch ein Vorurteil wirkt wie ein Filter: Informationen, die ins Raster passen, nimmt das menschliche Gehirn besonders gern wahr. Gerade dann, wenn sie negativ sind.

Wie zum Beispiel heftige Kursrückschläge, die es auch bei den Aktienmärkten seit den 2000er-Jahren gegeben hat – man denke etwa an die globale Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09. Informationen, die nicht ins Bild passen, werden hingegen verdrängt. So bestätigt man sich immer wieder selbst.

Letztendlich haben dadurch viele Anleger die Hausse an den Kapitalmärkten der vergangenen Jahre verpasst.

Vermögende haben Aktienbestände ausgebaut

Auch viele vermögende Anleger haben sich seinerzeit die Finger verbrannt und das nicht vergessen. Nur ist seit einigen Jahren der Druck durch andauernde Niedrigzinsen so hoch geworden, dass viele von ihnen doch wieder zu Aktien gegriffen haben – jedenfalls als Beimischung im Portfolio.

Anzeige

Einer der Gründe ist sicherlich, dass Alternativen Mangelware waren – und sind –, wenn es darum geht, den Wert des Vermögens zu erhalten. Viele von ihnen haben in den vergangenen Jahren konsequenterweise die Bestände schrittweise ausgebaut.

Nun stehen turbulente Zeiten bevor: Handelskrieg, negative Konjunkturprognosen und wirtschaftliche Transformation. Vor diesem Hintergrund stellt sich für viele, die noch nicht investiert sind, die Frage nach dem richtigen Einstiegszeitpunkt.

Hier kommt es auch auf die richtige Strategie an: Diversifizierung ist das entscheidende Stichwort – oft bemüht, aber in der Praxis immer noch unterrepräsentiert. Denn Diversifizierung geht über Branchen und Länder hinaus.

Und Diversifizierung hört auch nicht in Europa auf. Es geht um einen globalen Ansatz: Aufstrebende Länder sollten sich genauso im Portfolio wiederfinden wie entwickelte Märkte.

Auf die richtige Mischung kommt es an

Diversifizierung heißt aber auch, über verschiedene Anlageklassen zu streuen. Aktienanlagen sind also immer nur als ein Baustein zu verstehen. Für den normalen wie vermögenden Anleger geht es deshalb sicherlich nicht darum, sein ganzes Geld an der Börse zu investieren.

In konservativen Portfolios machen Aktien in der Praxis teils nicht mehr als zehn bis 20 Prozent der Anlagen aus. Und hier geht es immer um Geld, das nicht kurzfristig verfügbar sein muss.

Gerade bei kleineren Vermögen birgt der Einstieg in Einzeltitel große Klumpenrisiken, weil die ausreichende Streuung fehlt. Wer nach Optionen sucht, kann sich jedoch über kostengünstige Indexfonds (ETFs), etwa auf den Weltaktienindex MSCI World, weltweit an Unternehmenstiteln beteiligen.

Anzeige

Nicht weniger wichtig als die Strategie ist jedoch das Verständnis von Aktien im Sinne einer langfristigen Kapitalanlage. Beispiel USA – dort hat jeder zweite Haushalt Vermögen in Aktien investiert, und es ist selbstverständlich, dass Aktien zum Vorsorgeportfolio gehören. Und zwar auch dann, wenn einmal woanders, etwa auf dem Sparbuch, die Zinsen wieder steigen.

In Deutschland ist das aktuell nach wie vor undenkbar. Und für manch einen gehört das Schimpfen auf die Börse sicher auch zum lieb gewonnenen Ritual. Manchmal ist es jedoch auch Zeit, sich von seinen Vorurteilen zu trennen – um nicht wegen schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit die Chancen von morgen zu verpassen.

Der Autor ist Leiter Private Banking bei Ellwanger & Geiger und BILANZ-Kolumnist.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema