In der Tat, da müssen doch dunkle Mächte im Spiel sein. Freute man sich doch zu Beginn des neuen Jahrzehnts auf eine unbeschwerte Zeit des Feierns, auf eine Dauer-Party im Stile der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts à la „Babylon Berlin“. Es wurde mit Wirtschaftswachstum und steigenden Aktienkursen gerechnet, und dies zu Recht, denn sämtliche Frühindikatoren zeigten das an. Und nun dies. Investoren freuen sich derzeit, dass ihre Aktieninvestments wieder „nur“ eine einstellige Minuszahl aufweisen. Eine Verbesserung von -25 % Ende März auf -9 % ist aber vor dem Hintergrund der anstehenden größten Rezession seit den berühmten 20er Jahren des 20. Jahrhunderts ein Grund für Erleichterung. Aber noch legt sich der dicke Nebel der Ungewissheit über die nächsten Wochen und Monate, denn niemand weiß genau, wie tief die Einschnitte werden, die da kommen. Aber der Optimismus und die Gewissheit besteht, dass diese Virus-Pandemie eines Tages überstanden sein wird. Die Aufgabe ist es, die Zeit bis dahin bestmöglich zu überbrücken. Die Regierungen und Zentralbanken haben ihren Teil dazu beigetragen und mit schnellen, weitreichenden und sehr teuren Entscheidungen die Weltwirtschaft vor dem Kollaps bewahrt. In Deutschland hatten wir das Glück, aufgrund der Vorwarnung aus Italien das Pandemiegeschehen unter Kontrolle zu halten. Zugegeben unter vorübergehender Einschränkung der Bürgerrechte und Freiheiten, dies jedoch begleitet von einer überwältigenden Zustimmung der deutschen Bevölkerung. Die wirtschaftlichen Schäden sind immens und deshalb werden nun die ersten Wege beschritten, die meisten Wirtschaftsteile schrittweise zu öffnen und die Einschränkungen der persönlichen Freiheiten sukzessive aufzuheben. Dies war mit der Hauptgrund, warum die Aktienmärkte sich mit fast 30 % so deutlich von ihren März-Tiefständen erholen konnten. Denn dies ist die Voraussetzung, damit die größten geldpolitischen und fiskalischen Programme aller Zeiten ihr Ziel erreichen und die Konjunktur nach dem Komaschlaf wieder beleben können.
Doch just in dem Moment, als die Lockerungsphase begann, regte sich in Teilen der Bevölkerung Unmut. Generell ist es zu begrüßen, dass Bürger für ihre Rechte und Freiheiten einstehen und diese einfordern. Denn dies ist notwendig, damit die Politik ihr Vorgehen regelmäßig hinterfragt und gegebenenfalls (wie zurzeit) wieder anpasst. Sogar in diesen Tagen der Kontaktbeschränkung kann man seine Meinungen auf (kontrollierten) Demonstrationen kundtun. Alle aufrechten Demokraten und freiheitsliebenden Bürger sollten jedoch darauf achten, dass ihre Demonstrationsbemühungen nicht von kruden Aktivisten aus dem links- und rechtsextremen Spektrum oder Verschwörungstheoretikern vereinnahmt werden. Ein großes positives Element der letzten Wochen war die unglaublich große Solidarität unter der Bevölkerung. Diese wird nötig sein, um die gewaltigen Anstrengungen zu meistern, die in den nächsten Jahren auf uns warten. Menschen, die sich im Internet nur noch bei obskuren Medien und YouTube-Akteuren informieren und beeinflussen lassen und bestehende Strukturen ablehnen und bekämpfen, unterminieren diese Solidarität. Die Erfolge von Populisten in anderen Ländern, die meist gerne ebenfalls mit diesen Verschwörungstheorien hausieren gehen oder diesen Hintergrund haben, sollten uns Warnung sein. Die goldenen 20er Jahre hatten vor 100 Jahren leider auch ihre Schattenseiten. Den Crash (à la 1929) haben wir schon erlebt, Inflation (1923/1924) scheint derzeit kein Thema zu sein, aber das Gespenst der Massenarbeitslosigkeit und einer gravierenden Wirtschaftskrise klopft bereits an die Tür. Verschwörungstheorien stellen gewiss keinen sinnstiftenden Beitrag zur Lösung der anstehenden Probleme. Das Gegenteil von Verschwörungstheorie heißt „Aufklärung“. Man möchte manch Vertretern dieser Verschwörungszunft gerne die Kant’sche Maxime zurufen: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Das setzt natürlich voraus, dass genügend davon vorhanden ist. Daher ist es dringend geboten, wo es nur geht, gegen diese Verschwörungstheorien vorzugehen und über die wahren Tatsachen und Hintergründe aufzuklären. Der Verstand von Finanzinvestoren ist gerne einmal etwas getrübt, wenn zu viel Emotionen im Spiel sind. Zum Beispiel im März, als in der höchsten Panikphase bei manch einem Angstgefühle dominierten, die zu Panikverkäufen führten. Wohl dem, der die Nerven bewahrte und an seinen langfristigen Anlagehorizont glaubte. Die nächsten Monate werden allerdings diese Nerven strapazieren, denn die unglaublich schlechten anstehenden Wirtschaftsdaten und wieder ins Blickfeld rückenden Themen wie der ungelöste Brexit und die Spannungen in der EU könnten das Sentiment belasten. Deshalb bleibt in diesem unsicheren Umfeld eine defensivere Ausrichtung in der Kapitalmarkt-Strategie angeraten, aber dennoch sollte man in den nächsten Monaten den Blick vor sich bietenden Chancen nicht allzu fest verschließen.