Nun kam es leider so wie erwartet – das zweite Impeachment-Verfahren gegen einen US-Präsidenten ist gescheitert. Immerhin sieben republikanische Abgeordnete haben für sich entschieden, was die richtige Entscheidung war, wofür sie nun in ihrer Partei und von ihrer Basis angefeindet werden. Weder die neuen Informationen, die mittels Video-Aufnahmen die Öffentlichkeit erreichten und belegten, wie dramatisch und gefährlich die Lage etwa für den atomkoffertragenden Vize-Präsidenten Pence war, dem der Mob vor dem Kapitol angedroht hatte, ihn hängen zu wollen, noch eine Aussage über eine höhnische Reaktion des Ex-Präsidenten auf einen telefonischen Hilferuf eines republikanischen Abgeordneten genügte, um den abgewählten 45. Präsidenten für schuldig zu sprechen. Doch die fadenscheinige Argumentation, dass das Amtsenthebungsverfahren verfassungswidrig sei, weil es nach der Amtszeit stattfindet – ein Umstand, dem die Republikaner zugestimmt und den sie befördert hatten –, und die nachträgliche Verurteilung durch führende Republikaner wird nicht verfangen. Die Partei wird weiter unter dem Einfluss dieses Herrn stehen, denn die Mehrheit der Partei und der republikanischen Wähler scheinen noch stramm zum ehemaligen Präsidenten zu stehen und in ihrer Meinungs-Parallelwelt (z. B. „Wahllüge“) zu leben. Eine Spaltung dieser Partei steht im Raum und kann nicht ausgeschlossen werden.
Für die Aktienmärkte hatte diese Entscheidung keine große Relevanz. Hier ist der Zeitpunkt und das Ausmaß des geplanten Konjunkturpakets von entscheidender Bedeutung. Auch an den asiatischen Börsen hatten Fortschritte bei den Verhandlungen zwischen den Demokraten und den Republikanern zu weiter steigenden Notierungen geführt. Die Börse in Japan überstieg zum ersten Mal seit 1990 die 30.000er-Marke, was aber auch an besser als erwartet ausgefallenen japanischen BIP-Daten für das abgelaufen Quartal lag. Die Zuversicht der Finanzakteure wächst trotz der uns umgebenden Covid-19-Probleme unverändert. Der ZEW-Index stieg zum dritten Mal in Folge und verdeutlicht, dass viele Marktakteure stark darauf hoffen, dass Lockerungen der Pandemie-Beschränkungen unmittelbar bevorstehen. Das sperrige Fremdwort „Prokrastination“ ist ein schwieriges Wort, aber leider zutreffend für die aktuelle konjunkturelle Lage. Umgangssprachlich kann man dies mit „Aufschieberitis“ übersetzen. In diesem Fall betrifft es den Zeitpunkt des Beginns einer neuen Normalität nach der Covid-19-Pandemie und damit auch den Zeitpunkt einer nachhaltigen Erholung der Wirtschaft. Die Regierungsverantwortlichen verschieben aus guten Gründen ein ums andere Mal die Lockerung der beschlossenen Lockdown-Maßnahmen. Es betrifft aber auch den nachhaltigen Start einer breiten Impfkampagne, auf der der Konjunktur-Optimismus fußt. Die ersten Impfungen sind zwar zugange, aber aufgrund des Produktions- und Lieferengpasses der drei Impfstoff-Hersteller wird es nun doch länger dauern, bis breite Bevölkerungsschichten geimpft werden können. Wenn diese Impfkampagne auf deutlich breitere Füße gestellt werden kann, kann es zu einer Auflösung des „Konsumstaus“ aus der Lockdown-Zeit kommen. Darauf warten verzweifelt viele Branchen, wie Einzelhandel, Gastronomie, Hotellerie etc., die kurz vor dem Exodus stehen. Es steht zu hoffen, dass die Pandemie-Lage und der Impffortschritt es erlaubt, zumindest in der zweiten Jahreshälfte zu alter wirtschaftlicher Stärke zurückzukehren.
Als Folge des unerschütterlichen Konjunktur-Optimismus schleicht sich an den Kapitalmärkten neuerdings die Erwartung für eine Entwicklung ein, die man eigentlich als für nicht mehr existent erachtete – die Inflation. Es gibt bereits heute mehrere Faktoren, die für zumindest vorübergehend höhere Inflationsraten stehen. Zum Beispiel Basiseffekte aus dem Rohstoff- und Ölbereich, die nun im ersten Quartal auftreten. Aber auch langfristigere Wirkungsfaktoren scheinen sich in Position zu bringen. Als Beispiel können die aktuellen Engpässe bei Mikrochips dienen, die zu kurzzeitigen Produktionsstillständen bei Automobilherstellern führen und zu höheren Preisen in diesen technologiebasierten Segmenten. Die Erholung der Wirtschafts- und Handelstätigkeit insbesondere aus dem asiatischen Raum heraus hat bereits zu steigenden Transportkosten geführt. Nun waren die Inflationsraten Ende 2020 sogar im negativen Bereich und zu den Zielprojektionen der Zentralbanken, z. B. in Europa 2 % von der EZB, ist noch Luft, bevor die Gefahr besteht, dass restriktivere geldpolitische Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die US-Zentralbank hat ja schon angekündigt, dass auch ein zeitweises Überschießen der Inflationsraten toleriert werden würde.
Wie immer sind die Märkte den Experten jedoch einen Schritt voraus, denn die Renditen langlaufender Anleihen haben bereits begonnen zu steigen. Die 10-jährige Bundesanleiherendite ist von -0,60 % auf -0,38 %, in den USA jedoch von 0,50 % auf immerhin +1,28 % gestiegen. Eine etwas steigende Inflation wird vor allem bei Regierungen durchaus begrüßt, wird doch das Problem der sich immer weiter auftürmenden Schuldenberge im Zeitablauf „weginflationiert“. Man darf aber nicht verkennen, dass die Überzeugung langfristig im tiefen bzw. negativen Bereich festzementierter Anleihenrenditen eine Grundvoraussetzung der aktuell sehr ambitionierten Aktienmarktbewertungen darstellt. Und steigende Inflationsraten gehen nun mal mit steigenden Anleihenrenditen einher. Von den Zentralbanken scheint bis auf Weiteres keine Gefahr auszugehen, an der kurzfristigen Zinsschraube zu drehen. Inwieweit sie mit ihren Anleihenkaufprogrammen jedoch den langfristigen Zins zügeln können werden, bleibt zu beobachten.
Wie immer macht die Dosis den Unterschied. Langsam und nicht zu stark steigende Inflationsraten stellen kein Problem dar. Zu schnell und zu stark darf es allerdings nicht gehen. Als die Rendite der 10-jährigen Treasury-Anleihe die 1 %-Marke durchbrochen hatte, wurde gemutmaßt, dass die „Breakeven-Rendite“, ab der die Aktienmärkte nervös werden, ungefähr bei 1,50 % liegen würde. Nun nähern wir uns dieser Marke und zunächst dürfte auch hier eine „Breakeven-Prokrastination“ einsetzen, die Nervositätsmarken dürften also sukzessive nach oben verschoben werden. Irgendwann jedoch wird die Stimmung kippen. Es bleibt deshalb spannend, wie sich die Inflationsraten weiter entwickeln und ob sie sich an die wirtschaftstheoretische Doktrin halten, dass z. B. Kapazitätsunterauslastung und höhere Arbeitslosenquoten Inflation eindämmen.
Aber wenn wir uns schon mit Fremdwörtern beschäftigen, letzte Woche konnten wir ein „Palindrom“ beobachten, d. h. ein Datum (12.02.2021), welches sowohl von vorne als auch von hinten zu lesen ist. Der 02.02.2020 war ebenso ein solches Datum und davor war dies im Mittelalter (11.11.1111) der Fall. Eine lange Zeit, aber Geschichte wiederholt sich. Bleibt zu hoffen, dass die derzeit überbordende Geldflutung der Märkte und die massiv steigenden Verschuldungen vieler Staaten nicht zu ähnlichen Inflationsexzessen, wie in den 70er-Jahren beobachtet, führen. Die Zentralbanken sind jedoch besser vorbereitet und agieren unabhängiger als damals. Mit ihrem Instrumentarium dürfte ein dauerhaftes Überschießen der Renditen zu verhindern sein. Aber sie müssen wachsam bleiben.