Die Marktmeinung aus Stuttgart

Neue Riesensaurier

Stuttgart, 26. August 2020 - von Michael Beck

Da sage mal einer, die Börsenwelt sei nicht erfinderisch. Kaum haben mehrere US-Unternehmen, vornehmlich aus dem Technologiebereich, die Schwelle von einer Billion (= 1.000 Milliarden) USD überschritten, wurde schon ein neuer Begriff gewählt – die „Tera Caps“. Das erinnert an die Namen der Urzeit-Giganten aus der Welt der Saurier. Allerdings kann einem auch der Gedanke kommen, dass diese Tech-Giganten auf dem Weg sind, unsere Welt so zu beherrschen, wie es damals die Sauriergiganten getan haben. Diese Woche haben nun Apple, Alphabet, Amazon und Co. wieder einmal neue Rekordstände erreicht. Befeuert von optimistischen Nachrichten von der Impfstoff- und Behandlungsfront, trotzen die internationalen Aktienmärkte den sich wieder aufbauenden Infektionszahlen und drohenden stärkeren Beschränkungen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens. Nicht nur der mit dem Rücken an der Wand stehende US-Präsident, der im Management der Pandemie- und Rassismus-Krise seines Landes versagt hat, auch der faktische Zwang aus der schieren Ausdehnung der Pandemie, gespeist aus Hochrechnungen von möglicherweise ca. 310.000 Covid-19-Opfern bis Jahresende in den USA, erklärt das verzweifelte und aufs Tempo drückende Agieren der Verwaltung bei der Zulassung eines möglichen Impfstoffes.

Das diesjährige traditionelle Zentralbank-Treffen in Jackson Hole, das am Donnerstag vom US-Fed-Chef Jerome Powell mit einer mit Spannung erwarteten Rede eröffnet wird, findet als Videokonferenz statt. Ebenso das EZB-Treffen im September, das vom idyllischen Portugal in die nüchterne Internet-Welt verlegt wurde. Natürlich wirft allein das schon ein Schlaglicht auf den derzeitigen Erfolg der Tech-Unternehmen, die auf der Welle der sich beschleunigenden Digitalisierungswelle surfen und wachsen und wachsen und wachsen.

Unterdessen scheinen die Frühindikatoren in Form von europäischen Einkaufsmanagerindizes oder dem ifo-Geschäftsklimaindex anzudeuten, dass sich die wirtschaftliche Erholung nach dem historischen Einbruch im zweiten Quartal fortsetzt. Aber auch dass die Dynamik der Erholung etwas nachlässt, wie das zuletzt zweimal gesunkene US-Verbrauchervertrauen verdeutlicht. Mit Argusaugen schauen Politiker, Marktteilnehmer und letztlich alle mit irgendeiner Form des Wirtschaftens verbundenen Personen auf die Entwicklung der Infektionszahlen der Covid-19-Pandemie. Auch wenn es flächendeckende Lockdowns nicht mehr geben wird bzw. kann, darf es auch nicht zu viele regionale Hotspots gleichzeitig geben, die zu kleinen regionalen Lockdowns führen können. In der Summe würden diese die wirtschaftliche Erholung gefährden. Der Covid-19-Virus und die Auswirkungen der Pandemie werden uns im Herbst und Winter definitiv stark beschäftigen. Und hier sind die wachsenden Sorgen hinsichtlich der möglichen Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers Nawalny, der Spannungen zwischen den Weltmächten USA und China, des Mittelmeerstreits der Türkei und Griechenlands um Gas-Ressourcen, eines drohenden harten Brexits mit entsprechend negativen Folgen für die Wirtschaft und der Möglichkeit der Nichtanerkennung der Wahl durch den amtierenden US-Präsidenten von den Finanzmärkten noch nicht abgebildet. Man kann nur hoffen, dass sich bei all diesen Themen die Vernunft durchsetzen wird. Und dass die Impfstoff-Forschung wirklich erfolgreich sein wird. Allein schon, damit Chancen bestehen, die drohende Insolvenzwelle vieler Unternehmen im Herbst abzumildern.

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