Die Marktmeinung aus Stuttgart

Lockerungsübungen

Stuttgart, 20. Mai 2020 - von Michael Beck

Es ist schon erstaunlich. Mehr als 10 Millionen Arbeitnehmer befinden sich in Kurzarbeit, viele Gastronomen, Händler und Kulturschaffende fürchten um ihre Existenz und ihre Fähigkeit, die Mieten und Lebenshaltungskosten im nächsten Monat bestreiten zu können. Und was beherrscht seit Tagen die Schlagzeilen und die öffentliche Diskussion? Des Deutschen liebstes Kind nach dem Auto – der Urlaub! Wann, wohin und vor allem wie (mit oder ohne Maske, Buffet, Ferienwohnung etc.) sind die Dinge, die alle anderen Themen in den Hintergrund zu drängen scheinen. Dabei stehen wir noch am Anfang der Lockerungen aus dem historischen Shutdown der deutschen Volkswirtschaft und des öffentlichen Lebens. Zudem ist noch nicht ausgemacht, dass die Infektionszahlen auf niedrigem Niveau verharren oder sogar nahezu ganz ausbleiben. Denn was nicht zu funktionieren scheint, ist, dass die Bevölkerung, die während des Shutdowns diszipliniert zu Werke ging, nun schrittweise wieder zur Normalität übergeht. Von null auf hundert scheint die Devise, die Krise liegt hinter uns, das Virus ist besiegt. Diese Einstellung könnte gefährlich werden und wieder zu neu ansteigenden Ansteckungszahlen und sogar zu einer zweiten Welle der Pandemie führen. Dieses Szenario ist so ziemlich das Schlimmste, was Volkswirte und Aktieninvestoren fürchten. Denn die Aktienmärkte haben eine V-förmige Erholung der Konjunktur ab dem dritten Quartal eingepreist und sind daraufhin bereits stark angestiegen. Die Hoffnung auf einen zügigen Erfolg bei der Entwicklung eines Impfstoffes unterstützte diese Rally in den letzten Tagen.

Das Vorhaben, neue Ansteckungsherde regional eindämmen zu wollen, ist unerlässlich, denn einen zweiten totalen Shutdown kann und will sich niemand leisten.

Unterdessen scheint der 45. US-Präsident nun doch dem Covid-19-Virus mehr Respekt entgegenzubringen als in den zwei Monaten, in denen er wertvolle Zeit verstreichen und keinerlei Vorkehrungen zur Eindämmung der Pandemie treffen ließ. Dies bezahlen nun Tausende seiner Mitbürger mit dem Leben. Er nimmt nun wohl entgegen dem Rat seiner Ärzte jeden Tag vorsorglich ein Malaria-Medikament ein, ohne auf die Nebenwirkungen zu achten. Ein weiteres Beispiel seiner Amtsführung, deren Beratungsresistenz legendär ist und deren (negative) Nebenwirkungen nun ans Licht kommen. Die US-Wirtschaft befindet sich im freien Fall und in der stärksten Rezession seit der „Großen Depression“ in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Einzig die unfassbar hohen Stützungsprogramme der Regierung und der US-Notenbank Fed (ca. 3 Billionen = 3.000 Milliarden USD) haben den Kollaps bisher verhindert. Der Fed-Chef Powell hat zusätzliche Maßnahmen der Notenbank angekündigt, was die Finanzmärkte weiter beruhigt, auf deren genaue Ausgestaltung sie aber auch gespannt sind. Er ist allerdings auch der Meinung, dass nach den gravierenden Schäden für die Wirtschaft und bei einer Arbeitslosenrate von nahezu 25 % (!) eine Erholung länger dauern wird als erhofft. Ähnlich in Europa, deren tourismusabhängige Südländer sehnsüchtig auf die deutschen Touristen warten. Auch hier werden hohe Budgets bereitgestellt, um die wirtschaftliche Erholung zu stützen und zu befördern. Man ist sich einig über die Höhe der Hilfen, aber noch nicht über die genaue Ausgestaltung. Eine schnelle Einigung wäre hilfreich, ansonsten steht zu befürchten, dass sich die jüngsten Aktienmarkt-Erholungen nur als Bärenmarkt-Rally herausstellen könnten.

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