Die Marktmeinung aus Stuttgart

Heiße Sommerruhe

Stuttgart, 12. August 2020 - von Michael Beck

Der 45. US-Präsident hat nun die Schlacht um die weltweite Internet-Hoheit offiziell eröffnet. Die beiden sehr erfolgreichen Social-Media-Dienste Tiktok (Videosharing-Plattform) und WeChat (Messengerdienst) sind für Privatpersonen und Unternehmens-Businessaktivitäten in den USA auf dem Index gelandet. Eventuell kann Tiktok nach der Übernahme durch ein US-Unternehmen seinen Erfolgsweg auch in den USA weitergehen. Das Verbot für WeChat vertieft jedoch den Graben zwischen den USA und China weiter. Dabei sind doch gerade neue Gespräche über das bereits beschlossene und noch nicht umgesetzte Handelsabkommen vereinbart worden. Schwer vorstellbar, dass diese Maßnahmen die Gespräche befördern. Allerdings auch nicht das Vorgehen der chinesischen Regierung, die derzeit beweist, warum das neue Sicherheitsgesetz für Hongkong höchst umstritten ist. Seit Verabschiedung des Gesetzes, das die Autonomie und den Sonderstatus Hongkongs untergräbt, geht die Regierung strikt gegen Oppositionelle und Demokratiebefürworter vor. Jüngstes Beispiel ist die Verhaftung des Medienmoguls Jimmy Lai, die wohl ebenfalls politisch begründet ist. Wohl auch in Reaktion auf dieses Vorgehen stattete erstmals seit 40 Jahren mit dem US-Gesundheitsminister ein hochrangiges US-Regierungsmitglied Taiwan einen Besuch ab. China ist entsprechend verärgert und man fragt sich, was als Nächstes kommt. Die internationalen Aktienmärkte sind von diesen Ereignissen jedoch relativ unbeeindruckt und machen es sich in der sommerlichen Ruhe in ihrer Seitwärtsbewegung bequem.

Ein bisschen verwundert das, denn das Covid-19-Infektionsgeschehen ist in den USA und vielen Teilen der Welt noch in vollem Gange. Die US-Arbeitsmarktdaten haben zwar leicht positiv überrascht, denn es sind mit 1,76 Mio. etwas mehr als die erwarteten 1,48 Mio. neuen Stellen geschaffen worden, aber immer noch sind in den USA 16,3 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet, mithin 12,9 Mio. mehr als noch Anfang Februar diesen Jahres. Vor dem Hintergrund, dass die Befragungen der Behörden Mitte Juli stattgefunden haben und in der zweiten Juli-Hälfte mehrere US-Staaten neue Lockdown-Maßnahmen ergriffen haben, ist eine entsprechende Verschlechterung der Situation zu erwarten. Zumal die US-Administration nicht in der Lage war, mit den Demokraten eine Lösung für die Fortführung der Arbeitslosenunterstützung zu finden, und den Handelsstreit mit Kanada neu aufleben lässt. Die wieder eingeführten Aluminium-Zölle werden von Kanada mit entsprechenden Gegenmaßnahmen beantwortet werden. Es steht also nicht zu erwarten, dass das Thema Zölle in Verbindung mit der EU zu den Akten gelegt worden ist. Insbesondere nicht, wenn man den Vorstoß dreier republikanischer Senatoren betrachtet, einen winzigen Ostsee-Hafen im Zuge des Nord-Stream-II-Disputes mit der wirtschaftlichen Vernichtung zu drohen. Zumal der US-Präsident im Wahlkampf immer stärker um sich schlagen wird, je mehr er in Umfragebedrängnis kommt. Die Nominierung der US-Senatorin Kamala Harris zur Vizepräsidentschaftskandidatin scheint dazu beizutragen, wenn man die Intensität zum Maßstab nimmt, mit der der Präsident sofort mit Schaum vor dem Mund Beleidigungen per Twitter in ihre Richtung schleudert. Es werden also noch einige wahlkampforientierte Aktionen erfolgen, die durchaus in einem heißen Herbst marktbeeinflussend sein können.

Glücklicherweise belegen eine Reihe von Wirtschaftsdaten, dass das Tal der Tränen verlassen wurde. Die deutsche Industrie hat wieder ein Niveau von 87 % des Vor-Covid-19-Standes erreicht und die Exporte sind im Juli ebenfalls wieder um 14,9 % gestiegen. Damit liegen sie zwar immer noch rund 10 % unter dem Vorjahresniveau, aber die Richtung stimmt. Der jüngste ZEW-Indikator konnte sich erneut im Ausblick verbessern, auch wenn die Freude darüber durch eine leicht verschlechterte Lageeinschätzung etwas getrübt wird.

Die in der aktuellen Berichtssaison ausgewiesenen Unternehmensgewinne waren oft zudem nicht ganz so schlecht, wie sie erwartet wurden. In Branchen wie z. B. der Technologie wurden die Gewinnerwartungen sogar wieder einmal deutlich übertroffen. Die Hoffnung auf einen weiter ruhigen Sommer an den Aktienmärkten hat also durchaus ihre Berechtigung. Voraussetzung dafür ist wie seit Monaten, dass die Covid-19-Infektionszahlen niedrig bleiben. Insbesondere in der Urlaubssaison ist das eine besondere Herausforderung, wie die aktuell steigenden Infektionszahlen verdeutlichen.

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